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...Um
diese Zeit kamen von der Insel Kreta zum drittenmal Abgeordnete des
Königs Minos, um den gebräuchlichen Tribut zu holen. Mit diesem verhielt
es sich also so:
Der Sohn des Minos, Androgeos, war, wie die Sage ging, im attischen
Gebiete durch Hinterlist getötet worden. Dafür hatte sein Vater die
Einwohner mit einem verderblichen Kriege heimgesucht, und die Götter
selbst hatten das Land durch Dürre und Seuchen verwüstet. Da tat das
Orakel Apollons den Spruch, der Zorn der Götter und die Leiden der
Athener würden aufhören, wenn sie den Minos besänftigten und seine
Verzeihung erlangen könnten. Hierauf hatten sich die Athener mit Bitten
an ihn gewendet und Frieden erhalten unter der Bedingung, daß sie alle
neun Jahre sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen als Tribut nach Kreta
zu schicken hätten. Diese sollen nun von Minos in sein berühmtes
Labyrinth eingeschlossen worden sein, und dort habe sie, so erzählt man,
der gräßliche Minotauros, ein zwitterhaftes Geschöpf das halb Mensch
und halb Stier war, getötet oder sie auf andere Weise verschmachten
lassen. Als nun die Zeit des dritten Tributes herbeigekommen war und die
Väter, welche unverheiratete Söhne und Töchter hatten diese dem
entsetzlichen Lose unterwerfen mußten, da erneuerte sich der Unwille der
Bürger gegen Ägeus, und sie fingen an, darüber zu murren, daß er, der
Urheber des ganzen Unheils, allein seinen Teil an der Strafe nicht zu
leiden habe und, nachdem er einen hergelaufenen Bastard zum Nachfolger
ernannt, gleichgültig zusehe, wie ihnen ihre rechtmäßigen Kinder
entrissen würden. Den Theseus, der sich schon gewöhnt hatte, das
Geschick seiner Mitbürger nicht als ein fremdes zu betrachten, schmerzten
diese Klagen. In der Volksversammlung erklärte er sich bereit, sich
selbst ohne Los hingeben zu wollen. Alles Volk bewunderte seinen Edelmut
und aufopfernden Bürgersinn, auch blieb sein Entschluß, obgleich sein
Vater ihn mit den dringendsten Bitten bestürmte, daß er ihn des
unerwarteten Glückes, einen Sohn und Erben zu besitzen doch nicht so bald
wieder berauben solle, unerschütterlich fest. Seinen Vater aber beruhigte
er durch die zuversichtliche Versicherung, daß er mit den herausgelösten
Jünglingen und Jungfrauen nicht in das Verderben gehe, sondern den
Minotauros bezwingen werde. Bisher nun war das Schiff, das die
unglücklichen Opfer nach Kreta hinüber führte, zum Zeichen ihrer
Rettungslosigkeit mit schwarzem Segel abgesendet worden. Jetzt aber, als
Ägeus seinen Sohn mit so kühnem Stolze sprechen hörte, rüstete er zwar
das Schiff noch auf dieselbe Weise aus, doch gab er dem Steuermann ein
anderes Segel von weißer Farbe mit und befahl ihm, wenn Theseus gerettet
zurückkehre, dieses auszuspannen, wenn nicht, mit dem schwarzen
zurückzukehren und so das Unglück im voraus anzukündigen.
Als nun das Los gezogen war, führte der
junge Theseus die Knaben und Mädchen, die es getroffen hatte, zuerst in
den Tempel des Apollon und brachte dem Gott in ihrem Namen den mit weißer
Wolle umwundenen Ölzweig, das Weihgeschenk der Schutzflehenden, dar.
Nachdem das feierliche Gebet gesprochen war, ging er von allem Volk
begleitet mit den auserlesenen Jünglingen und Jungfrauen ans Meeresufer
hinab und bestieg das Trauerschiff.
Das Orakel zu Delphi hatte ihm geraten,
er solle die Göttin der Liebe zur Führerin wählen und ihr Geleite sich
erbitten. Theseus verstand diesen Spruch nicht, brachte jedoch der
Aphrodite ein Opfer dar. Der Erfolg aber gab der Weissagung ihren guten
Sinn. Denn als Theseus auf Kreta gelandet war und vor dem König Minos
erschien, zog seine Schönheit und Heldenjugend die Augen der reizenden
Königstochter Ariadne auf sich. Sie gestand ihm ihre Zuneigung in einer
geheimen Unterredung und händigte ihm einen Knäuel Faden ein, dessen
Ende er am Eingang des Labyrinthes festknüpfen und den er während des
Hinschreitens durch die verwirrenden Irrgänge in der Hand ablaufen lassen
solle, bis er an die Stelle gelangt sei, an der Minotauros seine
gräßliche Wache hielt. Zugleich übergab sie ihm ein gefeites Schwert,
womit er dieses Ungeheuer töten könne. Theseus ward mit allen seinen
Gefährten von Minos in das Labyrinth geschickt, erlegte mit seiner
Zauberwaffe den Minotauros und wand sich mit allen, die bei ihm waren,
durch Hilfe des abgespulten Zwirns aus den Höhlengängen des Labyrinths
glücklich heraus. Jetzt entfloh Theseus samt allen seinen Gefährten mit
Hilfe und in Begleitung Ariadnes, die der junge Held, beglückt durch den
lieblichen Kampfpreis, den er unerwartet errungen, mit sich führte. Auf
ihren Rat hatte er auch den Boden der kretischen Schiffe zerhauen und so
ihrem Vater das Nachsetzen unmöglich gemacht. Schon glaubte er seine
holde Beute ganz in Sicherheit und kehrte mit Ariadne sorglos auf der
Insel Dia ein, die später Naxos genannt wurde. Da erschien ihm der Gott
Bacchus im Traum, erklärte, daß Ariadne die ihm selbst vom Schicksal
bestimmte Braut sei, und drohte ihm alles Unheil wenn Theseus die Geliebte
nicht ihm überlassen würde. Theseus war von seinem Großvater in
Götterfurcht erzogen worden, er scheute den Zorn des Gottes, ließ die
wehklagende, verzagende Königstochter auf der einsamen Insel zurück und
schiffte weiter. In der Nacht erschien Ariadnes rechter Bräutigam,
Bacchus, und entführte sie auf den Berg Drios, dort verschwand zuerst der
Gott bald darauf ward auch Ariadne unsichtbar.
Theseus und seine Gefährten waren über den Raub der Jungfrau sehr
betrübt. In ihrer Traurigkeit vergaßen sie, daß ihr Schiff noch die
schwarzen Segel aufgezogen hatte, mit welchen es die attische Küste
verlaßen, sie unterließen es dem Befehle des Ägeus zufolge die weißen
Tücher aufzuspannen, und das Schiff flog in seiner schwarzen Trauertracht
der Heimatküste entgegen. Ägeus befand sich eben an der Küste, als das
Schiff herangesegelt kam und genoß von einem Felsenvorsprung die
Aussicht auf die offene See. Aus der schwarzen Farbe der Segel schloß er,
daß sein Sohn tot sei. Da erhob er sich von dem Felsen auf dem er saß,
und im unbegrenzten Schmerze des Lebens überdrüßig stürzte er sich in
die jähe Tiefe. Indessen war Theseus gelandet, und nachdem er im Hafen
die Opfer dargebracht hatte, die er bei der Abfahrt den Göttern gelobt,
schickte er einen Herold in die Stadt, die Rettung der sieben Jünglinge
und Jungfrauen und seine eigene zu verkündigen. Der Bote wußte nicht,
was er von dem Empfange denken sollte, der ihm in der Stadt zuteil ward.
Während die einen ihn voll Freude willkommen hießen und ihn als den
Überbringer froher Botschaft bekränzten, fand er andere in tiefe Trauer
versenkt, die seinen fröhlichen Worten gar kein Gehör schenkten. Endlich
löste sich ihm das Rätsel durch die erst allmählich sich verbreitende
Nachricht vom Tode des Königs Ägeus. Der Herold nahm nun zwar die
Kränze in Empfang, schmückte aber damit nicht seine Stirne, sondern nur
den Heroldstab und kehrte so zum Gestade zurück. Hier fand er den Theseus
noch im Tempel mit der Darbringung des Dankopfers beschäftigt, er blieb
daher vor der Tür des Tempels stehen, damit die heilige Handlung nicht
durch die Trauernachricht gestört würde. Sobald das Brandopfer
ausgegossen war, meldete er des Ägeus Ende. Theseus warf sich, vom
Schmerz wie vom Blitze getroffen, zur Erde, und als er sich wieder
aufgerafft hatte, eilten alle nicht unter Freudenjubel, wie sie es sich
gedacht hatten, sondern unter Wehgeschrei und Klageruf in die Stadt.
(Aus: Gustav Schwab: Sagen des
Klassischen Altertums, München 1963)
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